Donnerstag, 4. Juli um 20:15 bei Rockhampton

Dass wir heute den Wendekreis des Steinbocks überschritten haben und uns somit in den Tropen befinden kann man schon an der Anzahl der Fliegenleichen an unserer Windschutzscheibe erkennen. Und gerade eben hat Eva eine Mücke erlegt, die anscheinend mit ihren Artgenossen die milden tropischen Winternächte überlebt. Nun haben wir also den Sommer, den wir uns so lange schon ersehnt haben, wobei jedoch die Dämmerung hier bereits um 17:30 Uhr einsetzt. Die Landschaft hat sich ebenfalls etwas verändert: Ausgedehnte Zuckerrohrfelder, Bananenplantagen und aus Holz gebaute, bunt bemalte Häuser säumen den Straßenrand.
Gestern Abend noch sind wir an die 100 km nach Maryborough gefahren, um heute nahe des Stadtrandes aufzuwachen. Den Ort haben wir uns bewusst ausgewählt, zählt er doch zu den ältesten und besterhaltendsten Orten Queenslands. Am Informationszentrum erfuhren wir, dass täglich an Wochentagen eine kostenlose Führung durch die Stadt angeboten wird und als wir an der City Hall, dem Ausgangspunkt der Stadterkundung, angekommen waren, waren wir nicht wenig erstaunt, als uns die Führerin in einem historischen Gewand aus der Mitte des 19. Jahrhunderts entgegenkam. Sie stellte sich mit dem Namen “Mary Heritage” vor und schon wirbelte sie los und zeigte uns im Laufschritt für 2 Stunden die Kostbarkeiten der Stadt, und das sind nicht wenige! Dass die Stadt so gut erhalten ist, verwundert, denn sie liegt in einer Flussschlaufe eingebettet und zusätzlich zu dieser gegebenen Überflutungsgefahr ist der Fluss den Gezeiten unterworfen. Bei Flut steigt der Wasserstand um 3 Meter. Nun wäre also schon angedeutet, dass die Stadt am Meer liegt und das Meer spielte auch für die weitere Entwicklung der Stadt eine wesentliche Rolle. Der Fluss mit Namen Mary River ist ausgezeichnet zum Befahren mit großen Schiffen geeignet und so entwickelte sich nach 1843 eine Handelskolonie an dessen Ufer, die bald Zuzug von Tausenden von Leuten erhalten sollte, denn 1869 wurde in Gympie Gold entdeckt und Maryborough mauserte sich binnen kurzer Zeit zu der Hauptlieferstadt für die Bedürfnisse der Goldgräber. Der Boom wurde noch unterstützt, als die Stadt als Hauptlandeplatz für Immigranten aus Übersee ausgewählt wurde, deren Ziel die Ostküste Australiens war. Unsere munter drauf los erzählende Mary Heritage berichtete z.B. aus dieser Zeit, dass eines Morgens eine “Schiffsladung” von 200 alleinstehenden Mädchen in den Hafen einlief, und da die Nachricht schon Tage zuvor wie ein Buschfeuer durch die Lande geeilt war, versammelten sich an diesem Tage Hunderte von Singlemänner am Kai, um die Mädchen in Empfang zu nehmen. Für den Abend war ein Tanzfest organisiert worden und innerhalb von wenigen Tagen war die Mehrzahl der Frauen verheiratet und mit ihren Ehemännern in der Busch verschwunden, sofern diese nicht in der Stadt wohnten, denn Arbeit gab und gibt es genügend in Maryborough. Holzfabriken, Zuckermühlen, Milchfarmen und v.a. die Maschinenbaufirma Walkers Pty Ltd., die 1873 die ersten Dampfeisenbahn in Queensland baute (mit Namen – wie kann es auch anders sein – Mary Ann) und auch heute noch neben Schiffsmotoren Lokomotiven fertigt, garantierten und garantieren einen festen Arbeitsplatz. Sogar die Pensionäre der Walkers Firma können das Arbeiten nicht lassen und bauen in liebevoller Kleinarbeit alte Dampfeisenbahnen in kleinerem Maßstab nach, die mit richtiger Kohle befeuert auf kleinen Schienchen durch den Stadtpark dampfen (nur jeden letzten Sonntag des Monats!) und auf den Waggons Kinder befördern. Und noch etwas macht die Stadt auch für Kinder interessant: In Maryborough wurde 1899 die Autorin des weltberühmten Kinderbuchs “Mary Poppins”, P.L. Travers geboren. Und weil die Stadt von Marys nur so überschwemmt zu sein scheint, ist es natürlich selbstverständlich, dass die katholische Kirche den Namen “St. Mary” trägt. Deren Wappen übrigens ziert ein Hahn, was darauf zurückzuführen ist, dass der erste Pfarrer der Pfarrgemeinde ein Franzose war, der sich strikt weigerte Englisch zu sprechen und die Predigt in Französisch hielt. Deshalb der gallische Hahn auch auf einer der Kirchturmspitzen. Auch mit Holland verbindet die Stadt etwas: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im Sand des Meeresstrandes eine kleine Kanone gefunden. Ein Zweck dafür war schnell gefunden, nachdem sich die Frau des Postdirektors beschwert hatte, dass direkt über ihrer Wohnung auf der Spitze des Turmes der Poststation jeden Tag um 13 Uhr der für die Schiffsnavigation enorm wichtige Timeball herunterkrachte, nach dessen Zeitangabe im Fluss ankernden Hochseekapitäne ihre Navigationsgeräte justierten. Ab sofort wurde täglich (bis heute!) die kleine Kanone als Signal für 13 Uhr abgefeuert. Eines Tages beschwerte sich ein holländischer Reisender, dass diese Kanone Eigentum der Niederlande sei. Nach einer gründlichen Recherche kam heraus, dass diese Waffe von einem holländischen Segler aus dem 18. Jahrhundert stammen musste, denn diese trugen solch kleine Kanonen auf dem Achterdeck. Nachdem die Holländer zu dieser Zeit wirklich vor den Gewässern Australiens segelten, muss sie somit von einem gesunkenen niederländischen Schiff stammen und irgendwie nach Maryborough geschwemmt worden sein. Kuriose Geschichten trifft man jedenfalls an jeder Ecke hier “Down Under”! Und noch etwas Einmaliges hat die sehenswerte Stadt zu bieten: Einen Laden, der die Zeit des Einkaufens vor Computer und Supermarkt dokumentiert. Etabliert im Jahre 1871 war dieser Laden über die Stadtgrenzen hinaus einer der wichtigsten Warenlieferanten, der sogar aus Dänemark, England und China importierte. Über 100 Jahre wurde er von einer Familie geführt, bis sich der letzte Inhaber dazu entschloss, den Laden ohne vorherigen Ausverkauf mit prall gefüllten Regalen zu schließen und der Bevölkerung als Museum zugänglich zu machen. Es hat schon seinen eigenen Charme sich durch den geräumigen Laden vorbei an alten Kartons, Flaschen, Einmachgläsern, Seemannskisten, Fässern und Lebensmittelsachen zu bewegen.
Gut gelaunt fuhren wir weiter, immer auf dem Highway Nr. 1 zu einer weiteren Sehenswürdigkeit, den Mystery Craters nicht weit vom Ort Gin Gin entfernt.

Gefahrene Kilometer: 585, inkl. Tag zuvor.