Good morning good old Europe! How are you doing? (Melbourne 31. Mai 2002 um 8.30 Uhr) Es ist schon ein komisches Gefuehl am 31. Mai morgens durch eiskalte Luft zu spazieren, den Atem sichtbar vor sich und die Haende tief in den Hosentaschen vergraben. Es ist Winter! Heute bin ich frueher aufgestanden als sonst, aus vielerlei Gruenden. Zunaechst einmal beginnen heute in Eva's Schule die Abschlusspruefungen - um 10.30 Uhr legt Eva die 1. von 4 Pruefungen ab: Speaking Exam. Die anderen 3 folgen in der naechsten (ihre letzte) Woche. - und ich wollte den Tag mit ihr zusammen beginnen. Dann kommt mir der fruehe Start in den Tag bezueglich der Vervollstaendigung des Reisberichts nicht ungelegen, denn schliesslich gibt es wieder mal eine Menge zu berichten. Weiter bin ich heilfroh, dass wenigstens die Bibliothek angenehm warm temperiert ist, denn obwohl wir seit ein paar Wochen stolze Besitzer einer Elektroheizung sind, ist es taeglich morgens empfindlich kalt in der Wohnung. Das liegt zunaechst einmal daran, dass aus Kostengruenden - man heizt hier ja mit Strom - die Heizung nur sporadisch angeschalten wird und nachts somit gar nicht laeuft. Zweitens: was hilft die beste und sparsamste Heizung, wenn die Wohnung miserable isoliert ist, was bei unserer leider der Fall ist. So sitzen Eva und ich jeden Abend -fernsehschauend oder lernend - auf dem Sofa, neben uns laeuft die Heizung auf vollen Touren und wir wickeln uns in unsere Schlafsaecke ein, zusaetzlich eingehuellt in warme Socken und alle zur Verfuegung stehenden Pullover, denn trotz der Waerme von dem rechts von uns sich befindenden Heizkoerper zieht unglaublich kuehle Luft von links an unser geschuetztes "Nest" heran, denn von der Haustuer zur Terassentuer stroemt ausgeloest durch die 2 Zentimeter grosse Spalte zwischen Tuerleiste und Tuer ein stetiger Luftstrom. Ergebnis: Dauerschnupfen, kalte Nasen und Frierattacken in der Frueh. Deshalb halte ich mich unglaublich gerne in der temperierten Bibliothek auf! Und letzter Grund fuer meine fruehe Flucht aus unserem Heim: Das taegliche gleichablaufende Morgenschauspiel, aufgefuehrt von unseren 2 chinesischen Wohnungsgenossen, in 2 Akten. Akt 1: Zunaechst Stille. Nur die Kaelte zieht mit leisem Ruaschen in die Wohnung. Ploetzlich: Alarm. Der Radiowecker von Dennis legt mit ohrenbetaeubenden Laerm los. 1 Minute, 2 Minuten, 5 Minuten, 10 Minuten, 15 Minuten. Keine Reaktion seitens Dennis'. "Das darf doch nicht moeglich sein"' unserer Gedanken, "wie kann der Kerl da bloss schlafen". Nach 20 Minuten Daueralarm: Zugabe: Der 2. Wecker von Dennis legt los. In Lautstaerke dem Radiowecker in nichst nachstehend. Wieder fuer 5 Minuten keine Reaktion. Dann, wie ein Pfeil schiesst Jason aus seinem Zimmer gegenueber und haemmert mit Dauerfeuer auf Dennis' Tuer ein, auf chinesisch hysterisch so etwas wie: "Dennis sofort aufstehen! Wir kommen zu spaet! Dennis! Bitte!" schreiend. Alles Klopfen Weckerklingenl und Rufen hilft nichts! (Man hat Dennis einen beneidenswerten festen Schlaf) Jason oeffnet verzweifelt die Tuer und weckt persoenlich Dennis. Akt 2: Hektisches Treiben im 1. Stock vor und in dem Badezimmer. Jason befindet sich in der Morgenwaesche. Dennis, bereits angezogen, gewaschen und gestriegelt (schlaeft der mit Kleidung im Bett?) steht derweil schon unten in der Kueche, schluerft schnell seinen Kaffee und packt alle fuer den Tag notwendigen Dinge gelassen in sein Auto, mit dem beide taeglich in die Universitaet brausen. Jason immer noch oben, aufgeregt durch die Gegend flatternd, denn angeblich sind seine Studienmaterialien, die er heute braucht, spurlos verschwunden, wird immer hektischer. Von unten toent Dennis' drohenende Stimme:" Jason! Come on!" Jason, mit verschmitzten Augen mich anschauend, durchkaemmt sein Zimmer, ein typisch studentisches Durcheinander: "I think, I'm a little bit late!" Dennis hat mittlerweile das Auto gestartet und wartet, der Fuss spielt draengend auf dem Gaspedal, vor der Garage:" Jason! Jason!" Endlich, das fehlende Skriptum ist entdeckt, Jason stuerzt die Treppe hinunter, hastet zum Auto, Tueren schlagen zu und der taegliche Morgenspuk ist vorbei. So, nun aber zu unseren Erlebnissen des letzten Wochenendes (Datum Samstag 25. und Sonntag 26. Mai). Wieder einmal haben wir uns in Melbourne selbst aufgehalten, denn trotz mehrerer Wochen hier gibt es immer noch eine ganze Menge zu entdecken und besichtigen. So stand schon seit langem das Old Treasury Building auf unserem Programm und endlich, am Samstag, haben wir dieses Museum, das einen hervorragenden Einblick in die Geschichte Melbournes bietet, besucht. Aber keine Angst. Ich wiederhole nicht die Geschichte Melbournes noch einmal; nur eines moechte ich erwaehnen: Nachdem wir Reproduktionen alter Landkarten Melbournes aus der Gruendungszeit 1835 und der Zeit nach der Goldentdeckung 1851 verglichen hatten, die dort hingen, wurden uns noch einmal verdeutlicht, wie innerhalb von nur 30 Jahren aus dem Nichts, aus einfachem Weideland eine Grossstadt von europaeischem Format gestanmpft wurde. Faszinierend. Und alles wurde vorangetrieben vom Gold. Nun, was das Museum so besonders macht ist die Ausstellung im Keller des Gebaeudes, die ueber den Weg des Goldes von den Schuerffeldern bis in die Banktresore Englands berichtet. Sie befindet sich in den Gewoelben, in denen einst das Gold, nachdem es von Militaereskorten streng bewacht von den Goldfeldern nach Melbourne gebracht wurde, eingesperrt wurde, bis es auf Schiffen nach England gebracht wurde. Schon allein diese Tresore sind den Besuch wert. Was aber vielmehr die Bewunderung verdient ist wieder einmal die multimediale Art und Weise, in der die Ausstellung aufbereitet ist. Man durchlaeuft 8 Stationen (Kellergewoelbe), die den 8 Stationen des Goldtransportes gleichen und in jedem Raum wird einem die Information in anderer Weise vermittelt: Einmal ist es - klassisch - eine Hoerspiel, das jedoch in bestem Dolby-Surround-Sound gewandet ist und zusaetzlich durch optische Spruchbaender unterstrichen wird. In einem weiteren Raum wird man Zeuge eines Dialogs - pro Person eine Videoleinwand, die sich gegenueber befinden, man selbst mittendrin sitzend - zwischen einem Goldgraeber, der seine frisch geschuerften Unzen einem Transporteur abkaufen will, der ihn natuerlich gnadenlos ueber den Tisch zieht. In einem weiteren Gewoelbe werden die neuesten Nachrichten, die den Schifftransport nach England betreffen, als aktuelle Nachtischten im Fernsehen praesentiert, sehr witzig mit Nachrichtensprecher, Korrespondentenberichten, aktuellen Boersendaten und Wettervorhersage! Super Idee und der Ankommer bei den Kindern, wie mir die Museumsangestellte erzaehlte. Dann wird ,die Bedeutung des Goldes fuer England anhand eines laufender Buchstaben auf einem Lichtband in einem weiteren Raum dargestellt. Sehr nuechterne Praesentation, die aber erstaunliche Fakten enthuellt: 40 % des gesamten Goldvorkommens der Welt wurden in Victoria zu Tage gefoerdert. Kaum glaubbar, aber angeblich war. Unglaubliche Mengen Gold mussten damals von Australien nach England geschifft wurden; ein Segen fuer die aufsteigende Macht England, ein Fluch fuer alle Kapitalgegner, denn wie uns das laufende Spruchband belehrte, beschwerte sich Engels bei seinem Kollegen Marx, dass die Goldfunde in Australien die bevorstehende sozialistische Revolution bedrohe, bzw. verzoegere, denn durch den ploetzlich sich ergebende Moeglichkeit fuer den gewoehnlichen Arbeiter, durch die Goldhysterie zu unglaublichen Reichtum zu gelangen, schwand das Interesse an der von Marx und Engels inszenierten Arbeiterbewegung. Ja, auch hier Down Under kommt man stets in Kontakt mit europaeischer Geschichte! Aus den Kellern des Old Treasury aufgestiegen wurden wir wieder einmal mit dem uns treu bleibenden Zufall konfrontiert: Eine Museumsangestellte bemerkte unser ehrliches Interesse an dem Gebaeude und dessen Geschichte und bot sich an, uns in den fuer die Oeffentlichkeit nicht zugaenglichen oberen Trakt zu fuehren. Welch ein Glueck, denn im 1. Stock bekamen wir eine interessante Einfuehrung in die historische und aktuelle Verwaltung und Politik Victorias, denn in diesem Gebaeude werden die Treffen des Gouvenors Victorias, eine Person die direkt der Krone Englands unterstellt ist und der alle politischen Entscheidungen in Victoria mitgeteilt werden muessen, mit den gewaehlten Regierungsmitgliedern abgehalten. Wir konnten den Versammlungsraum selbst bestaunen wie auch alte Fotos, auf denen die verschiedenen Kabinette und Gouvenors abgebildet waren. Interessant ist, dass wirklich jeder der 6 Enzelstaaten Australiens einem Gouvenor unterstellt ist und sogar die australische Regierung im Canberra einem Generalgovenour verantwortlich ist. Aber, wie uns die Museumsangestellte berichtete, gibt es Betrebungen, diese Verbindungen zum englischen Mutterland zu kappen, um vollstaendige Souveraenitaet zu erlangen. Jede Tag enthuellt wirklich neue Details ueber Australien, die dabei sind wir noch nicht einmal in der Mitte unserer Reise angekommen. Nun zum Sonntag: Zunaechst steuerten wir einen Flohmarkt im Stadtteil Camberwell an, auf dem sich Eva nach Kleidung um sah und ich fuer 50 Eurocent den Roman "Die Firma" von Grisham erstand, auf Englisch versteht sich. Danach starteten wir zum ersten unserer beiden Herrenhaeuser, die wir uns vorgenommen hatten zu besichtigen. Auf unserem Weg dorthin schlenderten wir durch Zufall durch das juedische Viertel Melbournes mit Namen "Bacalava". Geschaefte mit koscheren Lebensmittel saeumen dort die Strasse und ab und zu sieht man auch Juden im Kaftan, mit Kippa oder Hut. Wir liessen es uns natuerlich nicht nehmen, unseren reichlichen internationalen Esserfahrungewn auch noch die juedische hinzu zu fuegen und kauften uns ein juedisch koscheres Gebaeck. Dann aber ging es schnurstracks zu den Villen. Wie schon oben berichtet, loeste der Goldrausch einen unvorstellbaren Reichtum aus und so ist es nicht verwunderlich, dass Melbourne einige wunderschoene Villen bzw. Herrenhaeuser besitzt, die sich zu besichtigen lohnen. Dabei koennten die beiden, die wir uns ansahen, nicht unterschiedlicher in der Austattung, Architektur und v.a. Nutzung sein. Die Villa Labassa wurde im Neorenaissance-Stil gebaut und liegt mitten in einer Wohnsiedlung. Schon komisch, wenn man eine normale Wohnstrasse entlanggeht und dann ploetzlich vor einem imposantem Haus steht. Kein Garten, keine Wirtschaftsgebaeude, nur die Villa. Das dem Gebaeude die Gaerten weggenommen wurde liegt an der Geschichte des Hauses: Von reichen Leuten erbaut und zunaechst bewohnt wurde es Anfang des 20. Jahrhunderts versteigert und ab diesem Zeitpunkt von mehreren Parteien bewohnt. Ja, die praechtigen Raeume wurden aufgeteilt und alla Wohnungsgemeinschaft herrschte dort ein wenig herrschaftliches Leben. Vor allem Kuenstler fuehlten sich von der alten Bausubstanz angezogen. Die Gaerten um das Haus wurden als Baugrund verkauft. Mich erinnerte es etwas an die kommunistischen Enteignungen in den 40ger, bei denen ebenfalls grosse Gueter und Villen den Reichen weggenommen und zwischen einfachen Arbeitern aufgeteilt wurde. Ich glaube der Effekt ist der gleiche: Die neuen Mieter haben nicht das Geld und auch nicht die Zeit oder Musse, sich um das Gebaeude zu kuemmern - was soll es auch, es gehoert ihnen ja auch nicht richtig - und somit verfaellt die Bausubstanz immer mehr. So ist auch Labassa (mittlerweile unter Verwaltung eines National Trust) in einem jaemmerlichen Zustand und es wird noch Jahre dauern und sehr viel Geld kosten, bis es einigermassen renoviert ist. Der Garten jedoch ist auf immer verloren! Die 2. Villa mit Namen Rippon Lea Estate ist dagegen in besten Zustand. Seit ihrer Gruendung von privater Hand bewohnt und verwaltet - nun jedoch auch unter Verwaltung des National Trust - befindet sie sich im bestem Zustand und ist von einem reizendem Garten umgeben, der neben einem See, einem Rasentenniscourt, einem Aussichthuegel zahlreiche exotische Pflanzen enthaelt, denn einer der Besitzer war ein leidenschaftlicher Gaertner. Fein ausgewaehltes Interieur, aeusserst interessante und gut erhaltene Kuecheraeume aus dem 19. Jahrhundert, ein Swimming Pool im Freien aus der Mitte des 20. Jahrhunderts (im Hollywood-Stil gebaut), ein Ballsaal aus eben der Zeit, der heute noch fuer Hochzeiten benutzt wird, all das zu besichtigen nimmt schon ein paar Stunden in Anspruch, ist aber waermstens zu empfehlen, gehoert es doch zu den interessantesten und kompaktesten Gelaende, das Melbourne zu bieten hat. Ja, so ein Haus zu haben waere schon ein Traum. Aber was solls? Geld haben wir sowieso keins mehr wenn wir zurueckkehren und das Glueck haengt nicht an einem Haus! Nun sehe ich, dass dieser Bericht in der Laenge dem letzten in Nichts nachsteht. Den Lesern, die bis hierher vorgedrungen sind, wuensche ich eine schoenes Wochenende und geniesst die Sonne - vielleicht denkt ihr dabei an unsere kalten Nasen! See you and take care! Robert