Samstag, 29. Juni, 15:45 Uhr, am Strand von Surfers Paradise
Wieder am Strand. Wieder 1 –2 m hohe Wellen. Wieder Riesenspaß im Wasser. Wieder sehr starke Strömung parallel zum Strand. Wieder bewacht von Lifeguards,
die ihr Areal mit gelbroten Flaggen abstecken. Also Angst braucht zuhause keiner um uns haben, denn man kann sich an den Stränden von Sufers Paradise nur im seichten Wasser aufhalten. Weiter kann man wegen der meterhohen Wellen
nicht rausschwimmen und diese bringen einen – auf dem Wellenkamm paddelnd – stets zurück an den Strand; halt etwas weiter parallel zum Strand abgetrieben, aber nachdem man zurückgelaufen ist zum Ausgangspunkt, kann der
Wellenreitenspaß von vorne beginnen. Und ein Haifisch sollte sich eigentlich auch nicht in diese seichten Gewässer verirren. Vielmehr Sorgen muss man sich hier in Australien um die starke UV-Strahlung machen, die laut
Infoprospekt bei zwei von drei Australiern Hautkrebs verursacht. Über 60% der Australier bekommen Hautkrebs! Schon erschreckend. Aber auch dagegen wappnen wir uns mit lichtschutzfaktorstarker Sonnencreme, und morgen besorgen
wir uns in Brisbane, der Hauptstadt von Queensland, Hüte mit weitausladender Krempe und Sonnenbrillen. Also auch deswegen, liebe Eltern, keine Angst! Wir sind also wieder an der Gold Coast, im Surfer-Paradiesort “Surfers
Paradise”, obwohl kein Surfer hier in Sicht ist. Überhaupt befinden sich sehr wenige Menschen am Strand und ich vermute, die sich in meinem Rücken befindenden Bettenburgen sind halbleer. Eigentlich dachte ich, dass mich diese
40 km lange Touristenretortenstadt schockiert, aber irgendwie ist sie doch charmant. So warm wie gestern ist es nicht mehr, denn ein kühler Wind bläst über den Strand. Dafür ist das Wasser laut Lifeguard-Infotafel im 0,5° C
wärmer als gestern (19,5°). Dieser frische Wind kam gestern Abend schon auf, als wir von der Küste wieder ins Landesinnere fuhren, um am nächsten Morgen möglichst nahe am Lamington NP aufzuwachen, der heute auf dem Programm
stand. Nur verfuhren wir uns zum zweiten Mal auf der Reise dermaßen, dass wir, völlig erschöpft, einfach auf den ersten Rastplatz rausfuhren, der dazu auch weit und breit der einzige war. Der Wind pfiff, während wir in die
Schlafsäcke eingehüllt versuchten zu schlafen, eisig um den Campervan herum. Es war wieder ein bitterkalte Nacht, denn wiederum übernachteten wir auf einem Gebirgszug der Great Dividing Ranges. Wir waren nicht schlecht
überrascht, als wir um 7 Uhr in die frostige Luft aus unseren warmen Schlafsäcken hinaustraten und in gebührendem Abstand der Gipfel des Mount Warnings, den wir erst gestern bestiegen hatten, zu uns herübergrüßte. Während wir
uns mit eiskaltem Wasser wuschen – wir werden hier noch zu Ironmen! –realisierten wir, dass wir uns auf dem Kamm des Riesenkraters befanden, den wir gestern vom Mount Warning im 360°-Blick gesehen hatten. Zufall, Zufall und
nochmals Zufall, denn der Rastplatz gibt nicht nur den schönen Blick frei, er soll auch an der Stelle stehen, an der – angeblich – der erste weiße Siedler in dieser Gegend begraben worden sein soll.
20:30 Uhr auf einem Campingplatz 15 km südlich von Brisbane Langsam geht das Aufnahmevermögen aus. Ich habe das bemerkt, als wir
heute im Lamington NP waren. Die Lust blieb aus, große Wanderungen zu unternehmen. So bin ich ganz dankbar, die nächsten Tage an der Küste entlang zu fahren, die immer für einen kurzen Sprung ins Meer und Entspannung am Strand
gut ist. Trotz der allmählich nachlassenden Kraft, habe ich Interessantes zu berichten. Wir schon beschrieben wachten wir heute am Kraterrand des Mount Warning Vulkans aus, an dessen nördlicher Seite. Dort, also schon im
Staat Queensland, liegt der Lamington NP, der nur über zwei Teerstraßen, die weit ins Innere des Naturreservats führen, erreichbar ist. Wir entschieden uns für die längere Strecke, da an dessen Endpunkt, dem O’Reilly
Guesthouse, sich ein einzigartigen Baumwipfelpfad befindet. Auf einer wackeligen Hängebrücke 20 Meter über dem Waldboden kann man die Flora und Fauna in den Baumkronen studieren. Für Schwindelfreie gibt es noch eine extra
Bewährungsprobe. Von einem Hängebrückenpfahl führen zwei enorm steile Stahlleitern an einen dicken Eukalyptusbaum zu dessen Krone weiter 20m nach oben, wo sich schwankende Metallaussichtsplattformen befinden. Besonders auf der
letzten Leiter steigt man senkrecht mit Neigung nach hinten aufwärts und wäre da nicht das den gesamten Rückenbereich abschirmende Schutzgitter, würde einen auf den letzten Metern die Kraft in den Gliedmaßen verlassen und man
haltlos in die Tiefe stürzen. Eva blieb wohlweislich auf dem Niveau der Hängebrücke zurück. Der zweite von uns beschrittenen Wanderpfad führt auf geteerten Wegen – diese Sektion des NP wird von Touristen geradezu überschwemmt –
zum Morans Wasserfall, der wegen einer anhaltenden Dürre nur wenig Wasser führt, so dass man am steinigen Ufer bis zu der Stelle gehen kann, an der der Wasserstrom über eine 90°-Kante in die Tiefe braust. Kurz vor dem
Steilabhang ließen wir uns auf bequeme Felsbrocken nieder und genossen das Naturschauspiel. Auf dem Weg zurück zum Parkplatz kam ich ins Grübeln. Wir passierten eine Reihe mächtiger Eukalyptusbäume, deren dürres Laub im
heftigen Wind – er dauerte den ganzen Tag an – raschelte. Nur ein kleiner Funke und der ganze NP würde wegen der Ausgetrocknetheit lichterloh in Flammen stehen. Irgendetwas muss mit dem Erdklima nicht mehr stimmen. Die heftigen
Monsunregenfälle, die jährlich im Dezember – Februar an der Nordküste Queensland über den dortigen tropischen Regenwald niedergehen, blieben, wir mir eine Frau im Informationsbüro im O’Reilly Gästehaus erzählte, aus. Das Gebiet
um den Lamington NP verdorrt zusehends; bald (in 12 Monaten) sind alle Trinkwasserreserven aufgebraucht. Der eigentlich feuchte üppig grünende und blühende subtropische Regenwald verkümmert. Und dabei sind mit noch die
erschreckenden Bilder der ausgetrockneten Stauseen an der Grenze von Victoria und New South Wales im Kopf. Als wir im O’Reilly Gästehaus Rast machen und uns mit Meat Pie (eine australische Nationalspeise: Rindfleischbrocken
mit dickflüssiger Soße wahlweise mit weiteren Zutaten wie Champignons, Speck oder Spinat in einen Hefeteigmantel eingeschlossen) und Lamington (ein leichter, wie ein Schwamm zusammendrückbarer Kuchen mit Schokoguss und
Kokosstreuseln, auch ein Nationalsymbol) stärken und dabei die Historie des Gästehauses studieren, wird man mit den Anfängen der Menschheitssünden gegenüber der Natur konfrontiert: Anfang des 20. Jahrhunderts nämlich förderte
der junge australische Staat mit billigen Landverkäufen die Urbarmachung des australischen Dschungels. Junge Männer zogen daraufhin in die Wildnis, mussten aber von Gesetz wegen für die Überlassung billigen Landes diese vom
Urwald befreien, an dessen Stelle Gras anpflanzen und Viehzucht betreiben. Die Folge: Zahlreiche Weideflächen entstanden, an denen man auf der kurvenreichen und steil nach oben führenden Straße zum O’Reilly Guesthouse
vorbeifährt. Diese fruchtbaren und von Rindern bewohnten Täler sind hübsch anzuschauen – und die Rindviecher gucken z.T. mitten auf der Straße stehend durch die Windschutzscheibe zurück! – aber der das Wasser speichernde Wald
ist für immer verloren. 1911 ziehen fünf Brüder und drei Cousins des O’Reilly Clans los, um im heutigen Lamington NP den Staatsplan zu befolgen. Doch nach kurzer Zeit erkennen sie den unschätzbaren Wert dieser Wildnis, die bald
auch schon ab 1914 die ersten Touristen anlockt. Nach und nach entwickelt sich an der Stelle, an der sich das aus Holz gebaute Gästehaus befindet, ein sanfter Tourismus, der bis heute anhält. Die O’Reilly Familie kümmert sich
seit drei Generationen um das Wohl der Abenteurer (Meat Pies und Lamington!) und erwies sich 1937 sogar als Lebensretter, als ein im Busch abgestürztes 4-Personen-Flugzeug nach 10 Tagen dank der Ortskenntnis eines O’Reilly
Rangers aufgefunden werden konnte. Aber es gibt auch andere Beispiele: So hielten wir auf dem Hinweg an einem Eisenbahntunnel, mitten in der Wildnis. Was hatte der hier zu suchen? Eine Infotafel gibt Aufschluss: Vor Jahrzehnten
hatte ein reicher Besitzer einer Holzfällerfirma die Idee, den Holzkahlschlag des Waldes durch den Bau einer privaten Kleineisenbahn zu beschleunigen, die durch diesen extra für diesen Zweck gebauten Tunnel führte. Diese
dampfte aus der Wildnis ins nächste Dorf, die Schulkinder auf den gefällten Holzstämmen gleich mitbefördernd. Aber diesem Radikalkahlschlag wurde glücklicherweise durch die Errichtung zahlreicher NPs Einhalt geboten. Wir hoffen
jedenfalls, dass es für den Planeten Erde noch nicht zu spät ist! Ach ja, für alle, die genau unsere Reiseroute verfolgen: Der Lamington NP liegt genau westlich der Gold Coast.
Gefahrene Kilometer: 200
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