Sonntag, 23. Juni, 19:50 Uhr in Lithgow Gestern Abend kommen wir an einer Rest Area an, die sich ebenfalls ein Campervan zum Übernachten ausgesucht
hat. Er hat die Vorhänge zugezogen. Heute früh stellt sich der Besitzer uns vor. Er heißt Cliff Charlton, ist über 70 Jahre alt, ist ebenfalls – alleine – auf dem Weg ins warme Queensland und er kommt aus Buxton / Victoria.
Kennen wir ja sowieso nicht, meint er, aber doch, na klar, da waren wir doch, haben dort unsere erste Nacht verbracht. Wir kommen ins Gespräch. Auch er hat Bekanntschaft mit Tschechen, denn er nahm vor ein paar Jahren zwei
tschechische Studenten bei sich für drei Wochen auf, die nach einer 12-monatigen Rundreise auf ihren Rückflug nach Europa warteten. Zum Zeitvertreib – sie konnten nämlich keine NP’s und Wasserfälle mehr sehen, die es in der
Gegend um Buxton zahlreich gibt – brachte er ihnen das Bumerangbauen und –werfen bei, denn sein Beruf ist “Woodturner”, also Holzbieger. Auch er lädt uns zu sich nach Hause ein! Mal sehen, ob wir ihn wieder sehen, in Queensland
vielleicht. Jedenfalls wird es für uns bald Zeit, in wärmere Gefilde zu kommen, denn die letzte Nacht war die kälteste; was haben wir gefroren bei Temperaturen um die 0° Grad Celsius. Aber das ist kein Wunder, denn wiederum
sind wir auf 1100m gefahren, mitten in die Great Dividing Ranges, genauer gesagt in den Blue Mountains NP, der nur 100 km vom Stadtzentrum Sydneys entfernt liegt und schon 1868 ans dem Eisenbahnnetz Sydneys angeschlossen wurde.
Der Name Great Dividing Ranges wurde schon bewusst bewählt. Trennt doch der ewig lange Gebirgszug die fruchtbare Ostküste vom ungeheurer weiten westlichen Hinterland ab und stellte in den frühen Jahren der westlichen
Besiedelung ein unüberwindliches Hindernis dar. Die Blue Mountains wurden 25 Jahre nach der Landung der ersten Sträflingsflotte 1788, also 1813, überquert und die drei tapferen Erforscher der einzig damals möglichen Route
machten eine überraschende Entdeckung, die die ganze Tragik der weißen Besiedelung deutlich vor Augen führt: Sie stießen nur noch auf wenige Aboriginies in dieser weiten Gegend, denn bevor überhaupt ein Weißer dieses Gebiet
betreten hatte, waren tödliche Krankheiten vorausgeeilt und die für das Immunsystem der Aboriginies unbekannten tödlichen Bakterien und Viren hatten seuchenartig ganze Volksstämme ausradiert! Nun, der Pfad, dem die ersten
Überquerer gefolgt waren, erwies sich als so passabel, dass er bald nach der Entdeckung zur Straße ausgebaut wurde, der heute fast exakt dem Great Western Highway folgt, an dem sich ein Ort nach dem anderen aufreiht. Es ist
nicht gerade attraktiv, dieser Lebensader durch die Berge zu folgen, an dessen Seite sich die Eisenbahn nach oben quält, aber wer die Kostbarkeiten dieses NP bestaunen möchte, kommt nicht umhin, auf ihm zu fahren. Während man
sich auf diesem bewegt, bemerkt man gar nicht, dass sich links und rechts des Höhenzugs, auf dem die Straße verläuft, auf dramatische Weise tiefe und enorm breite Schluchten und Täler auftun, reichlich gefüllt mit
undurchdringlichem Regenwald. Als wir an unsere ersten Station, den Wentworth Falls, ankommen und den Aussichtspunkt aufsuchen, können wir unseren Augen kaum trauen: Spektakulär fallen vor unseren Füssen einige hundert Meter
tief Felswände senkrecht ins Tal, das sich auf einer Breite von mehreren hundert Kilometern im Horizont verliert. Schwindelnd bestaunen wir das Naturwunder. Das war gestern. Da schauten wir und erwanderten auch das südlich vom
Highway gelegene Jamison Valley. Aber umso mehr erstaunt waren wir, als wir heute wiederum in ein gigantisches Tal blickten, dem nördlich vom Highway sich befindenden Grose Valley, das dem ersteren in Nichts an Erhabenheit
nachsteht. Nun konnten wir begreifen, weshalb die ersten Siedler 25 Jahre benötigten, auf die andere Seite des Gebirgsmassivs zu kommen. Diese grandiose Wildnis musste undurchdringlich gewesen sein und ist sie auch heute noch.
Nur auf dem Höhenzug, der die beiden Täler trennt, war ein Durchkommen möglich! Nun zum gestrigen Tag: Zwei Wanderungen unternahmen wir. Vormittags stiegen wir zum Fuß es Wentworth Wasserfalls hinab auf einem spektakulär in
Fels gehauenen Wanderpfad. Der Wasserfall stürzt sich auf 100m in die Tiefe, lang genug, um durch den aufkommenden frischen Wind von seiner ursprünglichen Bahn abgebracht und uns ins Gesicht geblasen zu werden. Eine willkommene
Erfrischung an diesem im Vergleich zur Nacht angenehmen, da sonnigen Tag. Leider können wir unsere geplante Rundwanderung nicht fortsetzen, da der einzigartige National Pass, ein in der Mitte der Felswand verlaufender, ebener
Wanderweg, gesperrt ist. So quälen wir uns unzählige Stufen nach oben. Diese sind aber an Anzahl bei weitem nicht mit der Unmenge an Felsstufen und Metalleitersprossen zu vergleichen, die wir zu Beginn unserer zweiten, am
Nachmittag beginnenden Tour talabwärts stiefeln. Giant Stairway, so der passende Name des ersten Abschnitts der Wanderung, die von der Touristenhochburg Katoomba ebenfalls ins südliche Jamison Valley hinabführt, um dann die
weltberühmte Felsformation “The Three Sisters”, drei in einer Reihe stehenden Felsenhöcker zu umrunden. Eine Menge Touristen laufen einem da über den Weg; ist auch nicht verwunderlich, führen doch eine Kabelbahn und eine
Zahnradbahn, die bereits 1880 Kohlearbeiter in die Tiefen der Schlucht brachte, ins Tal hinab, was darüber hinaus noch von einer Seilbahn überspannt wird. Wir jedoch traten tapfer der Rückweg zu Fuß an. In Katoomba angekommen
spielt uns der Zufall wieder einen willkommenen Streich: Wir fahren ins Stadtzentrum, wollen noch im Supermarkt die Verpflegung für die morgige Mammutwanderung kaufen. Komisch kostümierte Gestalten laufen über die Straßen. Da,
ein im Silbergewand gekleideter Stelzenläufer mit bis zum Boden reichenden Röhrenarmen biegt um die Ecke! Was ist denn hier los? Die Fußgängerzone ist übervoll. Wir beschließen nach dem Einkauf in diese einen Blick zu werfen
und zu unserer Überraschung befinden wir uns ohne das wir es gewusst haben in einem fantastischen Umzug mit Fackelträgern, Feuerspeiern, Tanzgruppen und Trommelensembles. Alle sind maskiert, meist in futuristischem Outfit.
Einige haben sich überdimensionierte Gestalten gebastelt, die sie mittels fahrbarem Untersatz fortbewegen. Auch eine selbstgebastelte chinesische Drachenfigur, von mehreren Menschen fortbewegt, ist mit von der Partie. Der
farbenfrohe und lärmende Zug endet vor einem der bekanntesten Hotels der Stadt, dem Carrington, das wie viele der Gebäude der Stadt im Art Deco- und Art Noveau-Stil erbaut wurde. Wir fragen nach dem Grund des lustigen Treibens.
Die Antwort: Katoomba feiert die Wintersonnenwende! Na klar, heute ist der 22. Juni und die Tage werden ab diesem Datum wieder länger für die Australier. Nicht auf dem gesamten Kontinent wird gefeiert, aber wir finden es eine
tolle und v.a. passende Idee, müssen die Aussies doch mit einer “verkehrten” Feiertagswelt auskommen; all die Symbolhaftigkeit der Feste – das “Licht-kommt-wieder-Fest” Weihnachten, das frühlingshafte “Fruchtbarkeitsfest”
Ostern oder das “So-treiben-wir-den-Winter-aus-Fest” Fasching – findet in der Ereignissen der Natur keine Spiegelung. Nun die Bewohner Katoombas – dieser Ort ist wirklich weiter zu empfehlen – feiern halt dafür Karneval im Juni!
Nach der schon beschriebenen eiskalten Nacht starteten wir heute los zu unserer 7,5 Stunden dauernden Wanderung durchs nördliche Groser Valley und was uns dieser Tag bescherte ist kaum in Worte zu fassen. Ich will es in
Kürze versuchen: Abstieg beinahe senkrecht (von Govetts Leap im Ort Blackheath startend) hinab ins Tal, dabei müssen wir durch Wasserfälle, die sich tröpfelnderweise von den von Moos und Flechten überwucherten Felswänden über
unseren Köpfen lösen; wir passieren den Govett Leap Wasserfall; es geht tiefer ins Tal auf gut ausgebauten Steinstufen; die Vegetation wird dichter, wir folgen dem Fluss, der sich ins Tal ergießt und der im Verlauf der
Wanderung auf abenteuerliche Weise überquert werden muss; der Regenwald wird immer undurchdringlicher; mit Unterarmen als Macheten benutzend bahnen wir unseren Weg durch den Dschungel; würden nicht die Touristen diesen Pfad
benutzen, wäre er in zwei Tagen überwuchert; wir begegnen aber keiner Menschenseele (erst in der Mitte laufen uns ein paar Abenteurer über den Weg); die Wege sind schlecht markiert; ein paar Mal laufen wir in die falsche
Richtung; aber wir halten uns am Fluss entlang, der nun in eine enge Schlucht verläuft. Wir steigen langsam wieder auf; die Felswände schließen sich über uns: wir sind im Grand Canyon, einer sehr engen Schlucht: Paradies! Aber
auch Hölle: Ein Wanderer liegt auf dem Boden, Fuß sehr böse gebrochen; bereits drei Ärzte da; wir werden Zeugen einer Hubschrauberrettung; tapferer Pilot in dieser verdammt engen Schlucht; wir steigen weiter bergauf durch
meterhohe Felsblöcke hindurch, durch eine Höhle; unter uns in vollkommener Dunkelheit rauscht der Fluss, begraben unter Felsen und Pflanzen; wir erreichen die Felsenkante; wir wandern am Rand der Klippe auf fast ebenem Weg dem
Ausgangspunkt zu; Abenddämmerung: die entfernten Felsenkanten werden in rotes Licht getaucht; der Vollmond steigt auf und beleuchtet zart unseren Rückweg; wir durchqueren den Fluss, der sich in 10 Metern Entfernung in die Tiefe
stürzt, die wir zuvor durchstreift haben, Dunkelheit bricht an; der Vollmond weist den Weg, wirft unsere Schatten auf den Waldesrand. Überglücklich kommen wir am Campervan an! Die Blue Mountains sind das Paradies!
In den letzten beiden Tagen gefahrene Kilometer: 135
PS: Ich danke Gott, dass uns in dieser paradiesischen Wildnis in den letzten beiden Tagen keine Spinne attackiert hat. Für Schlangen ist es Gott sei Dank
momentan zu kalt hier.
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