Sonntag, 16. Juni Abfahrt nach Canberra um 8:15 Uhr. Sonnenaufgang über wolkenverhangenen Hügeln. Eine Känguru-Herde hüpft an unserem Rastplatz vorbei:
Australien! Canberra ist die Hauptstadt Australiens. 2001 wurde ihr 100-jähriges Gründungsjubiläum gefeiert; sie ist somit im Vergleich zu Sydney und Melbourne noch relativ jung. Aber wieso wurde nicht eine der letzteren
beiden Städte zur Capital City auserkoren? Nun, als sich 1901 die australischen Einzelkolonien (New South Wales, Victoria, Queensland, Western Australia, South Australia und Tasmanien. Das Northern Territory steht unter
Verwaltung Canberras) zu einer Federation, dem Commonwealth of Australia, zusammenschlossen, wurde wegen der andauernden Rivalitäten zwischen der Old Lady Sydney, immerhin die erste Stadt auf dem Kontinent, und der
viktorianischen Dame Melbourne, damals – und auch heute noch – eine unglaublich reiche und elegante Stadt, die Errichtung einer neuen Stadt proklamiert, die sich auf dem Gebiet eines Dorfes mit Namen “Kamberra”, was
prophetischerweise “Versammlungsort” in der Aboriginiesprache bedeutet, befindet und die so ziemlich in der Mitte der beiden städtischen Rivalen liegt. Um auch wirklich keiner Stadt einen Vorteil zu verschaffen, wurde um die
Stadt ein unabhängiges Territorium, das Australian Capital Territory, geschaffen, das selbständig verwaltet wird und nur dem Federation Government, also der australischen Regierung, verantwortlich ist. Und da befinden wir uns
gerade!
19:45 Uhr: Im McDonalds 5 km östlich von Canberra Ja, wir sitzen im McDonalds und wärmen uns mit heißer Apfeltasche und Tee auf. Eigentlich wollten wir zum Abschluss des Tages in Canberra in ein gemütliches
Cafe gehen, aber in der Stadtmitte ist keine Parkmöglichkeit und abseits vom Stadtzentrum existieren nur Highways, ein Flugplatz und eben eine Menge Schnellimbiss-Restaurants. Ich schreibe Stadtzentrum, aber wo das ist, wissen
wir selbst nicht genau, denn diese Retortenstadt hat wenig Flair, bzw. gar keins, wären da nicht die architektonisch gelungenen Regierungsbauten, in denen man äußerst interessante Aspekte der australischen Geschichte studieren
kann. Beginnen wir mit dem “Old Parliament House”, das 1927 das Federal Parliament, das bis zu diesem Zeitpunkt noch in Melbourne tagte, aufnahm und bis 1988 im Jahr der 200-Jahrfeier Australiens – zur Erinnerung: 1788
landeten die ersten Gefangenen in Sydney – beherbergte, um dann in das neue Parlamentsgebäude auf dem Capital Hill umzuziehen. Altes wie neues Parlamentsgebäude liegen auf einer der Achsen, die der Architekt des Stadtplanes
Walter Barley Griffin zusammen mit seiner Frau Marion Mahony in seinem 1912 nach einem internationalen Wettbewerb prämierten Entwurf in die damals noch unbebaute Gegend einzeichnete und die wie ein Lot auf die berühmte Triangle
fällt, ein Straßendreieck auf und in dem fast alle wichtigen Regierungsgebäude liegen. Diese Lot überquert den zum See aufgestauten Fluss und durchquert das monumentale “Australian War Memorial”, um dann auf dem Gipfel des
Mount Anslie, einem fantastischen Aussichtspunkt auf die Stadt, zu enden. Nun wären auch schon die Eckpunkte unseres langen Tages genannt, denn am Ende erklommen wir die 780m zu dem Aussichtspunkt und bestaunten in frostiger
Luft die Lichter der nächtlichen Stadt, die uns mit seiner Triangel zu Füssen lag. Zurück zum Old Parliament House. Schon der Vorplatz präsentiert australische Geschichte. Auf der Rasenfläche existiert seit 1972 der
“Aboriginal Tent Embassy Site”, also ein Zeltplatz, auf dem die Aboriginies sich selbst durch Zeltbauten eine Art Botschaft geschaffen haben, bzw. eine scharfe Speerspitze in ihrem Kampf um Landrecht und Souveränität. Man
stelle sich vor: vor dem Berliner Reichstag würden plötzlich mehr an Zigeunercamps erinnernde schäbige Zeltbauten und Wellblechhütten stehen. Ja, ein Brennpunkt mitten im politischen Herz Australiens! Nach zahlreichen
Streitereien, Vertreibungen, Wiederaufbauen wurde das Zeltcamp 1995 schließlich in das “Register of National Estate”, eine australische Liste für das Natur- und Kulturerbe des Kontinents, aufgenommen. Im Gebäude selbst, seit 13
Jahren seiner eigentlich Funktion beraubt, gibt eine unbedingt sehenswerte Ausstellung (nur 50 Cents = 1 Euro Eintritt!) eine hervorragende Einführung in die politische Geschichte Australiens. Nahezu alle Räume, das Büro des
Primeministers, die Abgeordneten – wie Senatskammer, sind zugänglich. Tolle Infotafeln, Gemälde aller Primeminister und Geschichten und Anekdoten aus den Streitigkeiten zwischen den beiden Hauptparteien, der Labour- und der
liberalen Partei veranschaulichen bestens die 100 Jahre eigenständige Politik. Die Räume sind im originalen Stil der 70er eingerichtet, Möbel und Interieur sehr edel. Besonders gefiel mir die Uhr, die wegen ihrer Wichtigkeit
jeden Raum ziert, und neben der sich eine rote und grüne Lampe befindet samt Lautsprecher, die die Abgeordneten per Glocke und Licht – rot für die Senatoren, grün für die Abgeordneten – zu den wichtigen Abstimmungen rief. Diese
hatten genau 2 Minuten Zeit, ihre jeweilige Kammer zu erreichen und über die Pünktlichkeit wachte strengstens ein “Whip”, also eine ”Peitschen-Persönlichkeit”! Ja da hieß es die Beine in die Hand nehmen. Eine Uhr habe ich in
der Klokabine gesichtet! Über 3 Stunden verachten wir in diesem Gebäude, was auch auf die National Portrait Gallery zurückzuführen ist, in der sich auch Portraits von Nick Cave, Cathy Freeman oder Kylie Minogue befinden.
Schnell ein Imbiss und weiter geht es zum Neuen Parlament, von der Größe her einige Dimensionen ausladender, aber teilweise in den Capital Hill eingefügt. Die Spitze bildet ein 18m hoher Fahnenmast, dessen 4 Stückstreben
harmonisch auf dem Gebäudedach auslaufen, das mit Gras bedeckt ist und somit für das Volk begehbar ist – den Politikern aufs Dach steigen! Wie in Berlin! – und von dem man einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt hat. Das
Gebäude selbst ist bis ins kleinste Teil durchdacht (Aboriginiemosaik im Vorplatz, Queensgalerie über dem Eingang, Holzintarsien mit australischen Pflanzen an den Wänden der marmornen Vorhalle, in dessen Boden Kalksteinplatten
mit Fossilien eingelassen sind, Haupthalle mit angeblich größtem Wandteppich u.v.m.!). Die beiden wichtigsten Räume, das Repräsentantenhaus und der Senat, sind wiederum dem englischen Vorbild nachempfunden: königliches Rot für
den Senat (etwas weniger kräftig als in London, dafür dem Rot der australischen Erde ähnelnd) und (Eukalyptus)-Grün für das Repräsentantenhaus. Nur noch kurz zur Verfassung Australiens. Die Abgeordneten des Repräsentantenhauses
werden alle 3 Jahre gewählt. Gemäß der Einwohnerzahl erhält jeder Staat Australiens eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten. Das hat zur Folge, dass New South Wales mit der höchsten Bevölkerungszahl über mehr Stimmen verfügt als
das flächenmäßig größere Western Australia. Um eine Benachteiligung der bevölkerungsschwachen Staaten zu vermeiden, sieht die Verfassung eine 2. Kammer vor, die alle Gesetze passieren müssen und die somit “Aufsichtsaufgaben”
(review) erfüllt. Es gibt 70 Senatoren, 12 pro Staat und je 2 für die 2 Territorien. Sie werden alle 6 Jahre gewählt, jedoch jeweils die Hälfte alle 3 Jahre. Eigentlich ganz gerecht, oder? Ach ja, zum Abschluss meines
parlamentarischen Exkurses: In Australien müssen alle Wahlberechtigen (ab 18 Jahre) verpflichtend zur Wahl gehen. (Finden wir gut.) Nun, was hat Canberra noch zu bieten? Ein “National Archiv” mit unzähligen Dokumenten, die
zu Ausstellungen zusammengestellt werden. Wir hüpften nur kurz rein, um die wiederum hervorragend aufgemachte Sonderausstellung über die Designer der Stadt, das Ehepaar Griffin, zu bestaunen, aus der wir erfahren, dass nur
Teile ihrer ursprünglichen Vision (v.a. wegen Geldmangels verursacht durch den 1. Weltkrieg und die Finanzkrisen danach) verwirklich wurden, hauptsächlich der Grundriss. Die Stadt sollte viel pompöser aussehen. Diesen Mangel
merkt man ihr heute noch an: Prächtige Idee mit geringen Prachtbauten. Dann wäre da noch die “National Gallery of Australia” zu erwähnen, die neben einigen Künstlern aus Übersee (Rubens, Leger, Close) eine beachtenswerte
Sammlung australischer Gemälde enthält, die besonders auf den zu den Anfangszeiten der Kolonisierung entstandenen Bildern interessante Darstellung der Ureinwohner sowie Stadtansichten des “dörflichen” Sydneys zeigen. Und das
umsonst, denn der Eintritt ist frei. Ja, auf dem Weg durch die Epochen entdeckten wir, dass wir viel zu wenig über die australischen Künstler wissen, die in gar nichts denen von Übersee nachstehen! Wer mehr Zeit hat als einen
Tag in Canberra, sollte sich einen halben Tag in dieser Galerie reservieren. So! Nun aber raus aus der Schnellfraßfabrik und zum Campingplatz!
Heute gefahrene Kilometer: 186
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