Samstag, 15. Juni, 20 Uhr
Colac Colac (gesprochen ”Klak, Klak”) bedeutet ”Schnee” und ist einer der vielen Aboriginie-Sprachen entnommen. In Colac Colac befand sich der Campinglatz, auf dem wir die Nacht verbracht haben und um 10 Uhr aufbrechen zu den – passend zur Übernachtungsstelle – schneebedeckten Bergen des Kosciuszko National Park. Namensgeber dieses gebirgigen Naturreservats war 1840 der polnische Entdecker Graf Strzelecki, der als Erster den höchsten Berg Australiens, den Mount Kosciuszko mit 2228m, bestieg und ihn nach dem berühmten polnischen Patrioten und Freiheitskämpfer des 19. Jahrhunderts, Tadenzs Kosciuszko, benannte. (Nebenbemerkung: Anfangs konnten die Ortsansässigen uns nicht verstehen, wenn wir den Namen des NP aussprachen, klar, wir benutzten die korrekte polnische Aussprache, sehr verschieden von der australischen!)
Diese Gebirgskette, wiederum zu den über 4000 km langen Great Dividing Ranges gehörend, ist im Winter wegen Eis und Schnee nur bedingt fahrbar und deshalb holten wir uns zuerst die nötigen Informationen zur Straßensituation in Corryong. Schneekettenpflicht, ist die Antwort und so mieten wir pflichtbewusst für 10 Euro die Ketten, zahlen den Eintritt in den Park (8 Euro, die es in jedem Fall wert sind!) und los geht es in die Berge. Und welch ein Glück: Zum ersten Mal auf der Reise scheint die Sonne auf uns nieder. Kurz nach Corryong passieren wir den Grenzfluss Murray und schon sind wir in New South Wales. Khancoban lassen wir hinter uns und stoppen zum ersten Mal an einem Kraftwerk. Das dortige Museum gibt uns genügend Einblick in das Snowy Mountains Scheme. Was ist das? Zunächst einmal werden die Berge wegen des im Winter garantierten Schneefalls auch Schneeberge genannt. Jedes Jahr zur Schneeschmelze fließen Unmengen Wasser besonders durch die zwei Hauptflüsse Murray und Snowy River ungenützt in die Fluten des Ozeans, denn die Küstengegenden sind gesegnet mit Wasser und somit nicht auf den Wasserreichtum angewiesen; im Gegensatz dazu leidet das Land im Westen des Gebirges jedes Jahr unter staubiger Dürre oder alles zerstörenden Überschwemmungsfluten. Bereits im 19. Jahrhundert entstand die Idee, die Wassermassen mittels Dämmen, Kanälen, Tunnels und Stauseen, an denen zur Finanzierung der Projekts verkaufbarer Strom durch Kraftwerke gewonnen werden sollte, in den Westen umzuleiten, aber erst ab 1940 konnte aus technischen Gründen mit der Realisierung begonnen werden und nach über 20 Jahren Bauzeit die Farmen im Outback vom lebensspendenden Nass profitieren. Während der langen Bauzeit immigrierten, wie uns die Schautafeln anschaulich berichten, zahlreiche Arbeiter aus allen Teilen der Welt, Khancoban wurde als Arbeiterstadt aus dem Boden gestampft, Tausende Menschen fanden in den Zeiten der Nachkriegswirtschaftskrisen eine feste Anstellung und Australien wurde, wenigstens die Gegend um das Gebirge, zu einem multikulturellen Staat.
Die Straße, auf der wir weiter fahren, wurde ebenfalls im Zuge des Mammutprojekts fertiggestellt, der Weg teils durch gewaltige Felsbrocken gefräst und letzte Teil erst letztes Jahr geteert. Ein Look Out gibt den Blick auf die schneebedeckten Gipfel frei. Eisklare Luft. Es riecht nach Schnee. An einem Campingplatz auf der Strecke sollen wir auf Kängurus stoßen, zu 100%! Wir wandern los, an einem Bach entlang. Nichts. Dann, ist da etwas? Das Graue, das da im Gras liegt? Wir pirschen uns näher heran. Ja, tatsächlich, da liegt doch faul auf der Seite, die langen Hüpfebeine weit von sich gestreckt, ein graues Känguru! Juhu! Unser Erstes ganz nah! Hoffnungsvoll streben wir weiter, und da, wir können kaum unseren Augen trauen: Auf einer Weidefläche grast friedlich eine Herde von über 20 Kängurus, neben zwei stolzierenden Emus! Und das unglaubliche: Sie lassen sich von uns nicht aus der Ruhe bringen, obwohl wir uns bis auf zwei Meter näher. Sie starren uns neugierig an, schmatzen ihr Gras, kratzen sich genussvoll hinter den Ohren oder am Rücken oder liegen faul auf der Seite und dösen vor sich hin. Herrlich! Sogar ein Baby grinst uns aus seinem Mutterbeutel an!
Wir fahren weiter und umkurven auf einem nächsten Rastplatz wieder eine friedliche Känguru-Herde mit unserem Campervan auf einem extra für Touristen angelegten Rundweg. Fast wie auf einer Wildlife-Safari. Ein Schild mahnt uns verpflichtend, die Schneeketten anzulegen. Missmutig gehorchen wir. Warum auf dieser trockenen sonnenbeschienenen Straße die Ketten anlegen? Wir rattern los. Immer noch kein Schnee. Wir halten, nehmen sie wieder ab. Es geht auf den höchsten Punkt der Straße zu. Dead Horse Gap (es sollen hier Wildpferde die Straße passieren!) mit 1580m. Kleine Schneefelder tauchen am Straßenrand auf. Als wir in Thredbo ankommen, einem Skiort am Fuße des Mount Kosciuszko, können wir vereinzelt geschlossenen Schneedecken ausmachen. Die Schneekettenhysterie war völlig übertrieben, wir vermuten, dass die Australier, die ja nur hier mit Schnee auf ihrem Kontinent konfrontiert werden, keinerlei Fahrerfahrung auf winterliche Straßen haben und somit bei der geringsten Schneemenge schon ihre Ketten anschnallen. Für uns “Erfahrene” in jedem Fall übertrieben und nur die neue Straße beschädigend.
Nach dem Ort Jindabyne geht’s raus aus dem NP, an einem diesmal reichlich gefüllten See vorbei und wir düsen durch eine ebene Landschaft – immerhin über 1000m über dem Meeresspiegel mit wenig Bäumen und erstaunlich großen und verstreuten, verwitterten Felsblöcken der Abenddämmerung und der Stadt Cooma entgegen, in der wir einen kleinen Nachtspaziergang unter der Mondsichel und der Sternenformation des “Kreuz des Südens” unternehmen. Ach ja: Da wir ja kein TV haben und es schon gegen 17 Uhr dunkel wird, verbringen wir den Abend neben Lesen und Reiseberichtschreiben hauptsächlich mit Geschichtenerzählen: Stories aus unserer Kindheit und Jugend. Das ist wirklich schön und wohltuend!

Gefahrene km heute: 246