Es geht los! (Melbourne, 11. Juni 2002) Waehrend Eva gerade ueber ihren Abschlusspruefungen schwitzt, nutze ich die mir in Melbourne noch verfuegbare Zeit, um euch in Europa nochmals von meinem Stammplatz in der Unibibliothek ueber die letzten Ereignisse zu berichten, wissend dass uns nur noch wenige Stunde verbleiben bis unser (groesseres) Abenteuer seinen Lauf nimmt: Die Australienrundreise in 11 Wochen. Wie schon berichtet wird dieser Reisebericht dank meiner Schwester Birgit weitergefuehrt; nur muesst ihr euch an einen mehr an Aufzaehlung als an Zusammenfassung orientierten Erzaehlstil gewoehnen, denn ich werde, wie ich vermute und hoffe, jeden Tag als Ablauf taeglich niederschreiben, so dass auch die an unserer detailierten Reiseroute Interessierten stets anhand von Landkarten nachvollziehen koennen, wo genau wir ueberall rumkurven. Obwohl? Als Uebung fuer alle: Kramt eueren Schulatlas hervor und sucht euch einmal Melbourne. Dann fahrt mit dem Finger nordostwaerts, bis ihr - wenn der Atlas ein guter ist - die Stadt Albury findet. Das ist unser erstes groesseres Reiseziel. Aber zu den Details in den nachfolgenden Reiseberichten. Von der Kartenleseuebung nun aber zurueck zu den Erlebnissen der vergangenen Woche, die sich auf Grund der hier in Melbourne sich zu Ende neigenden Zeit sehr dicht draengten. Als Uebung fuer mich, um euch an den folgenden Schreibstil zu gewoehnen, und damit ich auch noch das Grainger-Museum um die Ecke heute besichtigen kann (soll ein extravaganter Komponist und Kuenstler gewesen sein), bevor ich mit Eva und ihren Schulkameraden ihre abgeschlossene Pruefung feiere - und natuerlich darf ich das WM-Spiel Deutschland gegen Kamerun heute abend nicht versaeumen!! - fasse ich mich kurz! Der letzte Reiseberichtseintrag datierte vom 4. Juni. An diesem Tag besuchte ich nochmals das Parliament hier in Melbourne, um eine oeffentliche Fragestunde zu besuchen und ich fragte mich, nachdem ich 20 Minuten dem Tumult im in der Lautstaerke einem Klassenzimmer (5.-6. Klasse) waehrend des Musikunterrichts aehnelnden Versammlungsraum zugehoert hatte, wie hier in Victoria das Regieren funktioniert. Es war kaum auszuhalten und ich war schon beinahe versucht, laut um Ruhe dazwischenzurufen. Aber, wie mir ein neben mir sitzender Neuseelaendischer Grundschuldirektor, der zusammen mit seinem Freund, ein Neuseelaendischer Abgeordneter, der Fragestunde beiwohnte, handelt es sich bei der jeden Tag um 14 Uhr fuer 45 Minuten stattfindenden Fragestunde um ein Schaulaufen der Politiker, ein Kraeftemessen, bei dem es nicht um sachliche Diskussion, sondern vielmehr um reisserisches Theaterspielen geht. Effekt: Die Erwachsenen, Repraesentanten des Volkes, verhalten sich wie Schuljungen vor der Pubertaet! Mittwoch 5. Juni: Deutschland spielt gegen Irland. Nach dem 8-0 Sieg ueber Saudi Arabien sind meine Erwartungen mehr als hoch. Eva bremst sie. Wir wagen es das Spiel in einem irischen Pub auf Grossleinwand anzuschauen. Nur Iren. Ueberall gruen. Schnell merken wir, - und die Iren auch - dass ich der einzige Deutsche bin, was auch nicht schwer war angesichts meines Torjubels beim 1-0, allein auf weiter Flur aufspringend. Eva bekommt es mit der Angst zu tun. Unbegruendet, denn in der 92. Minute faellt der Ausgleich. Ohrenbetaeubender Jubel, springende und tanzende Iren, Handschlaege auf meinen Ruecken, etwas Schubsen und Kommentare "You've lost! You've lost!" Stimmt ja gar nicht, es war ein Unentschieden! Schnell verlassen wir den Hexenkessel und kehren in unsere Wohnung zurueck. Donnerstag 6. Juni: Etwas Kultur zum Abschied. Konzert mit dem Melbourner Sinfonieorchester unter ihrem Hauptdirigenten Markus Stenz, ein Deutscher, diesmal in der Melbourne Concert Hall, einem Betongebaeude an der Southbank nahe der Oper, erbaut in den 60er Jahren mit erstaunlich guter Akustik. Programm: Kancheli, ein georgischer noch lebender Komponist, der selbst anwesend ist, denn als erstes erklingt die Urauffuehrung seines Werkes "Footprints", dass mich wegen seiner Glattheit (Plattheit?) und Erinnerung an Filmmusik entaeuscht. Vor der Pause noch Prokoviefs 7. Sinfonie, geschrieben fuer Kinder, dementsprechend ebenfalls konturlos, aber ansprechender. Nach der Pause, Ueberraschung: Fantastisches Werk von Kancheli genannt "Styx" fuer grosses Orchester, Chor und Soloviola, gespielt von dem unglaublich inspirierte und weltbekannten Bratscher Yuri Bashmet. Es gibt eine CD mit eben diesem Kuenstler und Werk, auf dem sich noch das Violakonzert von Sofia Gubaidolina, einer zeitgenoessischen russischen Komponistin befindet. Wer einmal Avantgarde auf hoechstem Niveau geniessen moechte - ja geniessen, denn von allzu unverstaendliche Missklaengen und irritierenden Destruktionen wird hier angenehmer- und abwechslungsvollerweise mal Abstand genommen - sollte sich eben diese CD besorgen! Nach dem Konzert ein Gute-Nacht-Bier (fuer Eva ein tasmanischer Apfel-Cider) im beruechtigten Pub Young and Jacksons, das direkt gegenueber der Flinders Station liegt. Im 1. Stock haengt das beruehmte Gemaelde - wirklich: eine ca. 4 mal 2 Meter Gemaelde hinter dicker Glasscheibe in einem Pub - des franzoesischen Kuenstler Levebre (hoffentlich richtig geschrieben), das im 19. Jahrhundert im prueden viktorianischen Melbourne Aufsehen erregte, als es auf der Weltausstellung in der Aufsteigerstadt Australiens in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts gezeigt und dann vom Pubbesitzer gekauft wurde (guter Merchandizer!), zeigt es doch zum ersten Mal in der Kunstgeschichte eine nackte Frau. Das ist ja nichts beonderes, sagt ihr jetzt wahrscheinlich, gabs doch schon frueher! Ist es aber doch, wie mir der wohlinformierte und sehr nette Barmann erklaerte, denn zum nackte Frauenkoerper waren im frueheren Kunstepochen stets in irgendeine Szenerie (Mythologische Geschichten, Historie, Gottheiten etc.) eingebettet und nun stand da eine gewoehnliche Frau, in ihrer vollen Schoenheit dar, quasi ein Nacktprotraet alla Playboy. Und heutzutage schluerft man sein Bier, auf dem Teppichbodendes etwas edleren Pubs stehend und diese Frau anschauend. Anreizend! Und das in einem Pub! Freitag 7. Juni: Abschiedsdinner mit Dennis und Jason, unseren Flatmates, zuhause. Sie ueberschlagen sich mit dem Kochen, denn sie laden uns zu 6 typisch chinesischen Gerichten ein: 1. Suppe, 2. Tofu, 3. Chicken mit Lotusblueten und -blaettern, 4. Shrimps in wuerziger Tomatensauce, 5. Huehnerfilets mit Lilienblueten und -stengeln, und 6. - der absolute Hit! - Krabbe mit Nudeln, die bis kurz bevor wir mit dem Essen begannen, noch als lebendiges Wesen, mit den Scheren klappernd, in unserer Kuechen-Spuele hauste, bis Jason, der eher sanftmuetigere von beiden, mit einem extra an diesem Tag neu gekauften Hackebeil, ihm den Garaus machte. Danach fuehlte er sich ein kleinwenig schuldig, wie er uns versicherte, aber wir nahmen ihn wegen des vorzueglichen Geschmacks der Krabbe natuerlich in Schutz! Welch ein unvergessliches Festmahl! Danke Jason und Dennis! Und wenn ihr nach Deutschland und Tschechien kommt, dann koennt ihr sicher sein, dass sich Eva und ich mit tatkraeftiger Unterstuetzung unserer Muetter (nicht wahr Mama? Du stehst in keinem Fall den Kochkuensten der beiden hinterher. Ich bin schon ganz stolz, wenn ich ihnen dein Essen praesentieren kann!!) revanchieren werden! Samstag 8. Juni: Rod hat sich nach dem letzten Wochenende nochmals angeboten, uns in seinem Auto in der Melbourner Gegend rumzufahren. Wir treffen uns um 9 Uhr im boehmischen Kaffee, in dem wir zum Fruehstueck boehmische Kuchen einnehmen. Heute gehts in die suedoestlich Gegend von Melbourne, die South Gippsland genannt wird. Den ganzen Tag weht ein eiskalter und stuermischer Wind. 1. Stopp: San Remo, ein Ort der an der Bruecke liegt, die nach Philipp Island fuehrt, eine Insel, die in der oestlichen Nebenbucht von der Melbourner Port Philipp Bucht liegt und die jeden Abend Tausende von Touristen anzieht, denn taeglich zur Daemmerung macht sich eine Herde von Pinguinen vom Meer aus auf in Richtung eines Strandstreifens auf Philipp Island und watscheln unter den neugierigen Touristenaugen, die sich - Tourie, Tourie! - auf einer extra fuer dieses Ergeinis gebauten Tribuene befinden zu ihren Nestern. Wir fahren, nachdem wir auf einem Bootssteg spaziertsind und die brodelnde See, zusaetzlich aufgewuehlt durch die auslaufende Flut, bestaunt haben und nachdem wir in einer Fish and Chipsbude fritiertes Haifischfilet gegessen haben, weiter, denn, wie uns Rod versicherte, verpassen wir nichts, wenn wir dieses Schauspiel auslassen!
2. Station: Kilcunda. Ein wunderschoener Kuestenabschnitt. Sandstrand mit Felsenkueste in dessen Ruecken. Der Wind nimmt zu. Strumboeen. hochauftuermende Wellen. Kleiner Spaziergang ueber eine ehemalige Eisenbahnbruecke aus Holz, die einen zum Meer fliessenden Bach ueberspannt und auf der vor 50 Jahren noch die Dampflok in Richtung Wonthaggi fuhr, ein Ort, in dessen Naehe Kohle abgebaut wurde und der unsere 3. Station ausmachte. Dort: Besuch des Kohleabbaugelaendes. Von 1910 bis in die 60er befand sich hier das groesste Kohleabbaugebiet Victorias, das die wichtigen Dampfeisenbahnen mit Kohle versorgten, bis diese von den modernen Dieselloks aubgeloest wurden, so dass der Untertageau hier zum Erliegen kam. Tolle Austellung. Eine alte Dampflok mit Anhaengern zum besteigen, informativer Film ueber das Stadtleben und den Alltag in den Gruben. 4. Station: Cape Paterson. Wieder ein sagenhaftes Strandpanorama. Sonne Sturmwind. Auf hoher See beginnt es zu regnen. Schwarze Wolken. Ein vollstaendiger Regenbogen tut sich ploetzlich auf!! Die Regenfront zieht schnell auf uns zu. Deshalb Weiterfahrt zur 5. Station: Der Leuchtturm von Cape Liptrap. Gewaltiger Sturm. Der Leuchtturm liegt auf einer Landzunge, die ungeschuetzt ins Meer hinausragt. Orkanboeen. Wir muessen uns festhalten, um nicht davongeweht zu werden. Durch die Wolken dringt ein atemberaubender Sonnenuntergang. Die glutrote Sonne versinkt in die aufgewuehlte See. In der Ferne sind gerade noch die Berge der Halbinsel des Wilson Promontory Nationalparkes auszumachen. Weiterfahrt durch die Daemmerung zur 6. Station: Walkerville, ein Ort, an dem frueher Kalk gebrannt wurde, der dann nach Melbourne als Baumaterial bis zur Erfindung des Betons geschifft wurde. Historische alte Ruinen, die leider fast vollstaendig zerstoert sind. An der windgeschuetzten Bucht tappen wir mit einer Taschenlampe bewaffnet ueber die Felsen am Strand. Abenteuer! Aber die Sicht ist zu schlecht. Abfahrt nach Hause. Langer Ratsch mit Rod, waehrend Eva mit roten Backen auf dem Ruecksitz schlaeft. Mein Englisch wird immer geschliffener und die Freundschaft mit Rod intensiver. Wir vereinbaren uns in Cairns zu treffen, denn zufaelligerweise und unabhaengig von uns ist er zur gleichen Zeit dort! Zufall!? Kurz vor unserer Wohnung halten wir noch fuer einen Schlaftrunk am Irishpub, dem Ort des Unentschiedens Tage zuvor (Unentschieden!! Nicht Niederlage meine Herren Iren!!). Dort 2 Guiness und eine Ueberaschung: Livemusik. Irische Folklore mit Tanz, der zur Orgie ausartet. Fantastische Stimmung. Wir brechen auf. Zuhause finden wir unsere am Boden zerstoerten Chinesen vor: China verliert unter Heulen, Kreischen, Schreien, Stampfen und hoerbarem Zaehnenknirschen der beiden 4 zu 0 gegen Brasilien! Ein toller Tag - fuer uns jedenfalls. Sonntag 9. Juni: Wir ziehen schweren Herzens aus unserer Wohnung aus. Abschied von Dennis und Jason mit Traenen im Hals und in den Augen. Karl, Christas Lebensgefaehrte, holt uns ab. Wir sind in Eile, denn um 12 Uhr moechte er den Boxkampf mit Mike Tyson anschauen. Er ist ein Sportbegeisteter und stets ueber die meisten (interessanten) Sportarten bestens informiert. Bei meine Tante Christa gibt es leckere Rumpsteaks in Pfeffer und Kaesekuchen. Ein Gefuehl von Heimat stellt sich ein. Nachmittagsschlaf, endlich wieder auf einer grossen Matratze und einer Zudecke und nicht wie in den letzten 3 Monaten mit Schlafsack. Kleine Fahrstunde mit Karl, schliesslich muss ich mich langsam an den Linksverkehr gewoehnen. Abends lernt Eva fuer die bevorstehenden Pruefungen. Ich gucke mit Karl WM. Montag, 10. Juni: Ausschlafen. Zu Mittag Rinderlende. Bestes Fleisch, denn Christa arbeitet bei einem Metzger!! Wiederum Kuchen (Apfelkuchen! Christa gehoert ohne Zweifel zu meiner fantastischen Kucheback-Familie! Man merkt die Wurzel der Schoepflfamilie, liebe Oma!!) Nachmittags kleiner Spaziergang. Cockatoos (weisse Papageien) sitzen zu Scharen auf Platanen und knacken mit ihren scharfen Schnaebeln und lauten Geraeuschen die Nuesse. Auf anderen Baeumen schnappen sich rote Papageie rote Beeren. In der Ferne glaenzen die durch die Eukalyptusdaempfe hervorgerufenen blauen Dandenongs. Wir kennen uns schon richtig aus! Abends wieder Fussball und Packen! Dienstag, 11. Juni (heute). Aufstehen um 5.45 (Gaehn! Bin ich nicht mehr gewoehnt) Abfahrt in die Stadt. Eva macht Pruefung. Ich erledige die letzten Besorgungen, denn morgen GEHT'S LOS!!! So then, guys! Keep in contact! The adventure and challenge begins!! See you! Robert PS: Gruesse an meine Eltern!! Alles Liebe und Gute und lasst euch nicht unterkriegen! Ich denke an euch und macht euch keinerlei Sorgen!! Wir passen auf uns auf!!